Die „Schule im Walde“ als sozialpädagogisches Ideal
Funktionsanalysen und Peterhans-Fotos

Anja Guttenberger
Veröffentlichungsdatum: 07.2018

Mit Hannes Meyer und Hans Wittwer kehrte eine funktionelle Auffassung des Bauens am Bauhaus ein. Ihre Studierenden erstellten Funktionsdiagramme: Tabellen und Grafiken, in denen Informationen zum Baugrund, zum Fortlauf der Sonne und vor allem zu den Bedürfnissen der zukünftigen Bewohner festgehalten wurden. Architektur wurde zur Bauwissenschaft. Ein Musterbeispiel hierfür ist die Bundesschule des ADGB. Ihre konsequente Planung von innen nach außen wird in Walter Peterhans’ Fotografien manifest.

Im Bau der Bundesschule für den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) in Bernau-Waldfrieden, unweit von Berlin, konnte Hannes Meyer – Schweizer Architekt und zweiter Direktor des Bauhauses – erstmalig seine Idealvorstellung davon umsetzen, wie ein modernes Bauwerk geplant und gebaut werden sollte. Noch vor seiner Berufung zum Direktor hatte Meyer mit seinen Entwürfen den Auftrag an Land gezogen. Um dem Bauvorhaben näher zu sein als von Dessau aus möglich gewesen wäre, richtete Meyer ein Baubüro in Berlin ein. Seine Mitarbeiter waren neben Hans Wittwer, der 1927 mit Meyer zur Gründung einer Baulehre von Gropius ans Bauhaus berufen wurde und vor dieser Zeit mit Meyer gemeinsam in der Schweiz als Architekt gearbeitet hatte, zahlreiche Studenten der Bauhaus-Baulehre, deren präzise Aufgaben es noch bis heute aufzuschlüsseln gilt. Unter ihnen waren Arieh Sharon (Bauzeichner, Bauleiter der Lehrerhäuser), Antonin Urban (Bauzeichner), Hermann Bunzel (Bauleiter Bundesschule), Edmund Collein, Philipp Tolziner, Lotte Beese, Konrad Püschel und Wera Meyer-Waldeck (Innenausstattung). Unter Meyer verstand man sich als Kollektiv, in dem nicht der Einzelne namentlich oder mit seiner Arbeit in Erscheinung trat, sondern ein Projekt gemeinschaftlich geplant und umgesetzt wurde.

Mit den oft zitierten „vertikalen Brigaden“, bei denen es primär um die Einbeziehung von Bauhaus-Studierenden aus allen Werkstätten der Schule ging, erzielte Meyer mit seinen Mitarbeitern aus allen möglichen Bauhauswerkstätten (Baulehre, Tischlerei, Weberei, Metallwerkstatt) optimale Ausgewogenheit und Überdenkung des Projektes aus unterschiedlichen Perspektiven. Eine ganzheitliche Planung ohne jegliche Unterschiede zwischen Meistern und Studierenden, Bauleitern und Handwerkern. Mit diesem Verständnis kam Hannes Meyer der Auftrag zum Bau der Bundesschule des ADGB zupass, denn der Anspruch des Auftraggebers an den Architekten war primär sozialpädagogisch geprägt. Es war seine Aufgabe, den demokratischen Aufbau der Gewerkschaft an sich bauplanerisch umzusetzen und den Gewerkschaftern, die sich hier für ein bis zwei Monate zur Fortbildung aufhalten würden, den höchsten Nutzen an Bildung und Erholung zu verschaffen. Das Baugrundstück – ein Waldstück im Bernauer Forst – schien in seiner Abgeschiedenheit aber in unmittelbarer Nähe zur Hauptstadt ideal für dieses Vorhaben.

Ausgehend von den Anforderungen der Gewerkschaft ließ Meyer im Baulehre-Unterricht am Bauhaus von Studierenden Funktionsdiagramme erstellen: Tabellen und Grafiken, in denen die teilhabenden Bauhäusler Informationen zum Baugrund, zum Fortlauf der Sonne und vor allem zu den Bedürfnissen der zukünftigen Bewohner festhielten. Beispielhaft dafür in welcher Art und Weise solche Diagramme angefertigt wurden und wie ausführlich und sorgfältig sie von den Bauhaus-Studierenden ausgeführt wurden, ist ein Versuchsprojekt von Tibor Weiner und Philipp Tolziner. Gemeinsam planten sie in einer Facharbeit ein Wohnprojekt für Fabrikarbeiterfamilien in einer sozialistischen Gesellschaft. Es war ihr politischer Anspruch, der sie in diesem Vorhaben dazu antrieb, eine Serie von vier Studienblättern unter dem Titel „Wohnen im Sozialismus“ (1930) anzufertigen. Ihr Ziel: eine neue Form des gemeinschaftlichen Wohnens finden, die auf methodischen Studien basierten und deren Resultate in Text und Grafik sichtbar gemacht wurden. Das erste Blatt zeigt eine Tabelle, die einen Tagesablauf von 6:30 Uhr morgens bis 23:30 Uhr abends unter Hinzuziehung äußerer Faktoren (Zeit, Temperatur, Ort, Zustand) aufstellt. Auf demselben Blatt zeigen Weiner und Tolziner außerdem die Beziehungen der Menschen zueinander und zur Natur grafisch übersetzt. Die Ergebnisse aus diesem ersten Blatt nutzten die Studierenden im zweiten Blatt für die grafische Darstellung der Bewegungsfaktoren (wie ist der Bewegungsablauf eines Arbeiters?), ergänzt durch Sonnenstandsdiagramme und einer Luftbedarfsanalyse, aus denen sich direkt ergibt, nach welcher Himmelsrichtung die Wohnzellen in den im Grundriss geplanten Wohnblöcken ausgerichtet werden müssen. Aus diesen Grundlagenanalysen ergab sich schließlich ein Grundriss für eine Einzelwohnzelle, in dem auch die Besonnung des Zimmers vermerkt wurde. Auf dem dritten Blatt erstellten die Studierenden dann Analysen und Grundrisse der weiteren zugehörigen Bauten, die im Wohnkomplex nach ihrer Planung enthalten sein sollten: Sonnenterasse, Gymnastikraum, Laufgang, Leitungsgang, Wandelgang, Küche, Einzel- und Kreisräume. Sie gehen hierbei so sehr ins Detail, dass sie ihre Gedanken zur optimalen Nutzung der jeweiligen Räumlichkeiten schriftlich im Diagramm mit festhielten. Aufrisse und Schnitte der Wohnblöcke finden sich letztlich im vierten Studienblatt, womit die Gesamtplanung des sozialistischen Wohnkomplexes abgeschlossen war. Weiner und Tolziner versuchten in ihrer Studienarbeit eine ganzheitliche Methode umzusetzen.

Ähnliche Umfeldanalysen ließ Hannes Meyer von den Studierenden der Bauhaus-Baulehre auch für die Projektierung der Bundesschule des ADGB anfertigen. Auf den Antragsplänen wurden sie zum besseren Verständnis direkt neben der architektonischen Planung mit festgehalten. Auf einem Plan ist es die Besonnung der einzelnen Internatszimmer sowie die verschiedenen Möglichkeiten einer Zimmermöblierung, auf einem anderen ist es eine Grafik zur Besonnung der Klassen- und Seminarräume und auf einem dritten eine Analyse der Besonnung der Gesamtanlage. Unmittelbar auf diesen Analyseergebnissen basierend, planten Hannes Meyer und Hans Wittwer den Bau des Gewerkschaftsschulungszentrums, eine „plastische Übersetzung“ und „direkte Übertragung aus dem Funktionsdiagramm“[1].

Der annähernd Z-förmige Bau aus gelbem Backstein wurde demzufolge dem abfallenden Terrain als Stufenbau angepasst. Nach einem rein funktionalen Prinzip gestaffelt, unterteilt sich die Anlage in Gemeinschaftsbereich, Internat und Schultrakt mit Turnhalle und Bibliothek. Ein abwärts gerichteter Glasgang, den Meyer in seiner Funktion als „Verkehrsschlauch“[2] bezeichnete, verbindet die einzelnstehenden Gebäudekomplexe miteinander. Lange Wege zwischen Gemeinschafts-, Wohn- und Lehrbereich sollten die Gesamtanlage auflockern und die Besucher beim beschwingten gemeinsamen Hinabgehen entlang der innenliegenden Grünanlage in Richtung Seminarräume dazu animieren, miteinander in Kontakt zu treten. In den vier Internatskomplexen wurde in Zweibettzimmern Platz für insgesamt 120 Besucher geschaffen; jedem der vier Häuser wurde eine Farbe zugeordnet, die sich in unterschiedlicher Abstufung auf den drei Etagen der Baukörper wiederfindet. Die gemeinsame Farbe sollte der Orientierung, einem Gefühl der Zusammengehörigkeit unter den Bewohnern und der Einteilung in Gruppen für sportliche Aktivitäten dienen. Angrenzend zur Anlage wurde hierfür in unmittelbarer Nähe ein Freibad mit angeschlossener Sportanlage geplant. Gegenüber den Internatszimmern, jeweils mit einem großen Fenster zur natürlichen Besonnung ausgestattet, ist ein kleiner See inmitten eines Kiefernwäldchens gelegen: ein Ausblick in die freie Natur zur optimalen Erholung.

Ausgehend von den sozialpädagogischen Funktionen der unterschiedlichen Gebäudekomplexe plante das Kollektiv Hannes Meyer die Bundesschule konsequent von innen (den Bedürfnissen und Wegen der Einwohner) nach außen (zum Baukörper). Die einzelnen Baukörper sind schlichtweg die Funktionseinheiten selbst und ihre Anordnung resultiert nicht aus subjektiven formalen Regeln der Komposition, sondern aus ihren Beziehungen zueinander. Die Informationen hierfür entnahm man direkt den Daten der ganzheitlichen Analyse der zukünftigen Bewohner. Mit der Anordnung von Wegen, Ausblicken und weiten Flächen gelang Meyer eine völlig neue, sozialpädagogische Organisation des Zusammenlebens, die ihren Ausdruck im Bau selbst fand. Es zeichneten sich weder Hierarchie noch Autorität ab: Ein demokratisches Gebäude, das den Gewerkschaftsmitgliedern gewidmet war.

Mit diesem neuartigen Ansatz entwickelten Hannes Meyer und Hans Wittwer in ihrer Baulehre am Bauhaus eine neue Dimension des Architektenberufes. Noch Walter Gropius achtete im Bau des Bauhausgebäudes in Dessau 1925–26 rein auf die Optik und auf dessen symbolhafte Strahlkraft. Philipp Tolziner bemängelt in seinen Erinnerungen, dass die riesigen Glasflächen vor allem im Werkstattflügel des Gebäudes sich im Sommer stark erhitzten und daher als „Schwitzkästen“ von den Studierenden bezeichnet wurden. Eine klare funktionelle Fehlplanung, wie Tolziner im Unterricht bei Hans Wittwer feststellte, wo er Grafiken zur Sonnenstandsberechnung anfertigte, Schattenwurfdiagramme erstellte und, hiervon ausgehend, Entwürfe für Planvorhaben zeichnete.[3] Lehrinhalt der Baulehre-Kurse von Meyer und Wittwer am Bauhaus war die Schulung einer funktionellen Auffassung des Bauens. Einzelform und Gebäudekörper, Materialfarbe und Oberflächenstruktur sollten automatisch aus diesem Verständnis heraus entstehen.

Bauen wurde unter Hannes Meyer und Hans Wittwer am Bauhaus zum „technischen Vorgang“[4]. Der Architekt wurde zum „Analytiker“ ausgebildet, der „die Wirklichkeit in all ihren Erscheinungen erfassen können“[5] musste. Gemeinsam mit Experten wurde im Kollektiv der Bau auf die individuellen Bedürfnisse seiner Bewohner zugeschnitten und dem Gelände, der Sonnenumlaufbahn und, nach Meyers sozialistischem Verständnis, einem offenen und kontaktfreudigen Zusammenleben angepasst. „Das Bauen ist eine Wissenschaft geworden. Architektur ist Bauwissenschaft.“[6] Es ist eine Verwissenschaftlichung, die auf individuellen Funktionsdiagrammen der Bauhauslehre-Studierenden basierte, in denen die variierenden Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner analysiert wurden und in die Planung des Baus direkt miteinflossen. Insofern wurde die Bundesschule des ADGB konsequent von innen (die Anforderungen durch die Nutzer und die natürlichen Gegebenheiten an den Bau) nach außen (die aus den Umfeldanalysen resultierende Form und der Aufbau des Komplexes) geplant. Der Fokus in der Architektur verschob sich also vom Bauobjekt selbst erst einmal auf die anvisierte Nutzung des Gebäudes. Die Form eines Baus ergab sich so ganz natürlich und direkt aus den vorangestellten Analysen der Bewohner und der umgebenden Natur. Mit diesem Prinzip erfüllte sich die am Bauhaus angestrebte Einheit von Lehre im Unterricht – Praxis am Bau. Mit diesem Gesamtkonzept schuf das Bauhaus unter Hannes Meyer an diesem weitgehend unbekannten Ort für den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund ein Schulungs- und Erholungsheim, das ganz im Sinne des Bauhauses und des ADGB gedacht und gebaut wurde.

Diese veränderte Sichtweise des Bauhauses auf den Anspruch an Architektur unter dem Direkorat von Hannes Meyer (1928–30) nutzte Walter Peterhans, der ab 1929 die neu gegründete Fotoklasse am Bauhaus leitete, in seinen Fotografien der Bundesschule des ADGB für sich. Mit der technischen Perfektion des Berufsfotografen setzte er Meyers Funktionsanalysen des Gebäudes und deren Umsetzung in der Architektur perfekt in Szene. Peterhans wählte konsequent nur solche Perspektiven aus – womöglich in Absprache mit dem Architekten –, die Meyers Anspruch an diesen sozialpädagogischen Bau verbildlichen. Die enge Verbindung von Architektur und Natur rückt mit den Fotografien von Peterhans direkt an den Betrachter heran.

Er präsentiert die „Schule im Walde“, wie Meyer die Bundesschule gern selbst nannte, inmitten des Kiefernwaldes wie eine Oase der Erholung für die Gewerkschaftsmitglieder, als einen Ort, an dem die Lernenden sich nur auf ihre Bildung und auf ihr Freizeitvergnügen im angrenzenden Freibad konzentrieren konnten. An das abfallende Terrain angepasst, erstreckt sich die Bundesschule in den Fotografien als zurückhaltende „Lernfabrik“ in sieben mit Flachdächern gedeckten Komplexen und seinen drei Schornsteinen am Eingang. Ihr Anspruch es nicht ist, besonders aufzufallen, sondern vielmehr jenen zu dienen, die in ihr verkehren und lernen. Helles Sonnenlicht, das durch die großflächigen Glasfassaden dringt, sorgt in den Fotos für optimale Beleuchtung und dramatischen Schattenwurf. Gleichzeitig betonte Peterhans hiermit die direkte Verbindung von Innen- und Außenräumen, die sich durch die Glasfassaden schier aufzulösen scheinen.

In den Innenaufnahmen, die Peterhans von der Bundesschule des ADGB anfertigte, ist es eben diese Auflösung architektonischer Barrieren zur Natur hin, die die Hauptrolle spielen. In einer Fotografie des Glasganges, der die unterschiedlichen Lern- und Wohnkomplexe wie eine Lebensader miteinander verbindet, wählte der Fotograf die gesamte Länge des Schlauches, indem er sich an der Glastür zwischen Foyer und Gang positionierte. Hiermit wird die Dimension und Funktion des Glasganges als Ort des Sich-Kennenlernens und Miteinander-Redens an den Eingängen der Internatszimmer entlang der innenliegenden Wiese in Richtung Seminarräume und Turnhalle deutlich. Der gelbe Backstein, die grobe, rot gestrichene Deckenkonstruktion aus Holz und Fensterflächen, die sich über den gesamten Gang entlang von der Decke bis zum Boden erstrecken, ergeben einen fast schiffsähnlichen Charakter. In seiner Abwärtsrichtung – dem natürlichen Gelände entsprechend – läuft es sich auch fast wie auf einem sich in den Wellen abwärts bewegenden Schiff den Gang entlang. In Peterhans’ Foto ist in der Ferne ein Mann zu erkennen, der den Ausblick aus dem Gang in die Natur genießt. Ein weiteres Foto zeigt das Ende des Ganges vor dem Eingang zur Turnhalle und der Treppe, die hinauf zu den Klassenräumen führt. Der Raum ist gefüllt mit leicht bekleideten Männern, die sich die Füße in den hierfür vorgesehenen Waschbecken abwaschen. Wahrscheinlich kommen sie gerade aus dem angrenzenden Freibad und säubern sich die Füße bevor sie weiter in ihre Internatszimmer gehen. Das nächste Foto ist vom Ende des Glasganges aus fotografiert und zeigt entsprechend das Aufwärts des Ganges, vorbei an den verschieden farblich unterlegten Schlafkomplexen, die mit ihren großen Glastüren die Bewohner einließen. Es sind diese Faktoren, die Meyer wichtig waren in der Planung der Bundesschule des ADGB: Natur und Architektur in harmonischem Einklang, das Miteinander-in-Kontakt-treten der Gewerkschaftsschüler, Erholung/Freizeit und Bildung an einem Ort – eine ideale Verbindung moderner Bauhaus-Prinzipien und der Lebensreform der fortschrittlichen Weimarer Republik.

In einem Bild aus dem Lesesaal der heute nicht mehr existenten Bibliothek fokussierte Peterhans die schlichten Holztische mit Sitzschemel und Schreibtischlampen, die quer zu den sich über die gesamte Wand erstreckenden Fenstern stehen, darunter Ölheizkörper (eine der ersten Ölheizungen deutschlandweit). Diese Positionierung sollte die Konzentration auf das Lernmaterial fördern und trotzdem einen Seitenblick auf Glasgang, Schlafkomplexe und – weit in der Ferne über die großzügige Rasenfläche hinweg – das Foyergebäude mit Aula und Mensa ermöglichen. Ein Einblick in ein Internatszimmer zeigt wie im Lesesaal eine funktionelle Einrichtung im Bauhausdesign. Die Betten sind aus Stahlrohr von der Tischlereiwerkstatt des Bauhauses entworfen, die Schreibtische ebenfalls von einer Bauhäuslerin (Wera Meyer-Waldeck) entworfen, die Stühle sind simple „Nierenquietscher“ der Firma Thonet und der Rasierspiegel ein Entwurf von Marcel Breuer, die Doppelschränke womöglich auch vom Bauhaus, die Papierkörbe aus unverwüstlichem Vulkanfiber. Alle Möbel sind nach dem Prinzip gebaut: günstige Materialien, praktische Handhabung und Variationsmöglichkeiten, funktionelles Design, modernste Qualität.

Walter Peterhans’ Fotografien der Bundesschule des ADGB gehen weit über eine bloße Dokumentation des Gebäudes hinaus. Seine Bilder setzen vielmehr die mit der Architektur verbundenen Intentionen der Architekten um: über Umfeldanalysen der Bauhaus-Studierenden sollten die Bedürfnisse der Bewohner und die natürlichen Gegebenheiten (Lauf der Sonne, Terrain, Ausblicke in die Natur) aufgezeigt werden. Unmittelbar von diesen Diagrammen ausgehend planten Hannes Meyer und Hans Wittwer mit ihren Baulehre-Studenten die Form der Gesamtanlage, die Anordnung der unterschiedlichen Komplexe (Wirtschafts-, Wohn-, Seminargebäude) und deren sinngebende Verbindung untereinander. Ich gehe davon aus, dass dieser Ansatz nicht allein Idee des Fotografen war, sondern vielmehr in Absprache mit Hannes Meyer, der zum damaligen Zeitpunkt Direktor des Bauhauses war, geschah und eine komplette Wende in der Präsentation von Bauhaus-Architektur markiert. Im deutlichen Gegensatz zur heroischen Darstellung der Bauhausgebäude aus erhobener oder von unten aufwärts gerichteter Kameraposition unter Walter Gropius durch die Fotografin Lucia Moholy, konzentrieren sich Peterhans’ Architekturfotografien, die unter dem Direktorat von Meyer entstanden, auf die Visualisierung der Funktionsdiagramme und deren Umsetzung im Bau. Dabei gelingt es dem Fotografen den Meyer-Wittwer-Bau und das Bauhaus-Interieur einerseits durch Nahsicht in die Räumlichkeiten an den Betrachter in unmittelbare Nähe zu rücken als würde er selbst im Lesesaal sitzen oder das Internatszimmer betreten, andererseits vermittelt er durch eine gezielt eingesetzte Weite das Gesamtkonzept der Gebäudekomplexe und deren Verhältnisse zueinander. Mit Licht und Schatten, Perspektive und Dimension und unter Einbeziehung von Menschen als Staffage modellierte Peterhans in jeder einzelnen Aufnahme des Gebäudekomplexes den Bau greifbar und in all seinen Facetten.

 

 

Footnotes

 

  1. ^ Hannes Meyer, Baubeschreibung aus Hannes Meyers unveröffentlichtem „Bauhaus-Album“, Manuskript, DAM.
  2. ^ Ebd.
  3. ^ Philipp Tolziner: „Mit Hannes Meyer am Bauhaus und in der Sowjetunion. Erinnerungen eines ehemaligen Mitgliedes der Bauhausbrigade ‚Rotfront‘“, 38-seitiges Typoskript, Bauhaus-Archiv Berlin.
  4. ^ Hannes Meyer: „Bauen“ (1928), in: Lena Meyer-Bergner (Hrsg.): Hannes Meyer. Bauen und Gesellschaft. Schriften, Briefe, Projekte, VEB Verlag der Kunst, Dresden 1980, S. 48.
  5. ^ Klaus-Jürgen Winkler: Der Architekt Hannes Meyer. Anschauungen und Werk. Berlin, VEB Verlag für Bauwesen, Berlin 1989, S. 54.
  6. ^ Hannes Meyer: „über marxistische Architektur / Thesen über marxistische Architektur“ (1931), in: Lena Meyer-Bergner (Hrsg.): Hannes Meyer. Bauen und Gesellschaft. Schriften, Briefe, Projekte, VEB Verlag der Kunst, Dresden 1980, S. 97.

Hannes Meyer & Hans Wittwer mit der Bauhaus-Bauklasse (Architekten)/Walter Peterhans (Foto), ADGB-Gewerkschaftsschule Bernau bei Berlin – Territorium im Wald, 1928–30.

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