The Bauhaus is dead.
Undead.Undead.Undead.

Marion von Osten
Veröffentlichungsdatum: 12.2019

 

White on white translucent black capes

Back on the rack

The Bauhaus is dead

 

The bats have left the bell tower

Victims have been count

Red velvet lines the white box

 

The Bauhaus is dead

 

Undead, undead, undead

Undead, undead, undead

 

The student file past its tomb

Strewn with time's dead flowers

Bereft in deathly bloom

Alone in a darkened room

The Masters

 

The Bauhaus is dead

 

Undead, undead, undead

Undead, undead, undead

Undead

 

Oh Bauhaus

Bauhaus undead

 

Oh Bauhaus

Bauhaus undead

 

Oh Bauhaus

Undead

 

 

Diese Adaption des Songtext Bela Lugosi is Dead der Band Bauhaus erschien im Original 1979 als Single beim Record-Label Small Wonder in London.[1] Für das Cover reproduzierte die Band ein Filmstill aus D.W. Griffith The Sorrows of Satan aus dem Jahr 1926 im Xeroxcopy-Style der 1980er-Jahre. In die UK-Charts schaffte es die Single nicht gleich. Auf der Bauhaus Live-LP Press the Eject and Give Me the Tape, 1982, ist er bereits als Konzertmitschnitt aus The Old Vic in London 1982 zu hören, zu einer Zeit, als die Band Bauhaus die europäischen Dark-Wave-Clubs mit Bela Lugosi is Dead bereits gestürmt hatte. Das Coverfoto der 82er-LP zelebriert jetzt jene minimalistische schwarz-weiß Ästhetik wie sie auch Bauhaus Studierende wie Lux Feininger verfolgten. Der Song ist eine Hommage an den Stummfilmschauspieler Bela Lugosi, der – ähnlich wie das historische Bauhaus – bereits zu Lebzeiten und mehrfach widerauferstanden war. Als Lugosi 1956 in Kalifornien starb, war man sich an seinem Grab nicht sicher, ob er diesem nicht gleich wieder einsteigen würde, hatte er diese Fähigkeit doch eindrücklich auf der Leinwand bewiesen.

Bela Lugosi (eigentlich Béla Ferenc Dezső Blaskó) war ein Kind des 19. Jahrhunderts, geboren 1881 in Lugos in der damaligen Doppelmonarchie Österreich-Ungarn, in einer feudal-imperialen Weltordnung, die mit dem Ende des 1. Weltkriegs und der russischen und deutschen Revolutionen 1918 beendet wurde. Lugosi wanderte 1921 in die USA aus – zu einer Zeit, in der das Bauhaus im zweiten Jahr in Weimar sein Programm aufgenommen hatte und noch unter Johannes Ittens reformpädagogischer und spiritueller Programmatik stand. Mehr als fünfzehn Jahre später versuchten einige Bauhäusler im nord-amerikanischen Exil Fuß zu fassen und ein zweites Bauhaus in Chicago zu gründen. Sie verbreiteten ihre Ideen in mittlerweile kanonischen Ausstellungen im Museum of Modern Art in New York und in ihrem Unterricht an Bostoner Universitäten oder dem Black Mountain College. Gropius, Albers, Moholy, Breuer und Bayer konnten mit der Migration von Deutschland in den 30er Jahren nach Großbritannien in die USA eine Version des Bauhaus propagieren, das in der Folge den Mythos der Schule begründete und zu einer vom Kalten Krieg gesteuerten Rezeption des Bauhaus führte. Einen Mythos, dessen verschlungenen Pfade und Enigmen wir heute hundert Jahre später zu lüften versuchen.

1928 kam Bela Lugosi nach Hollywood, nachdem er an der Westküste in der Bühnenfassung von Bram Stokers Roman Dracula den Titelhelden verkörpert hatte. Hier feierte er seine größten Erfolge. Allerdings nicht als Darsteller moderner städtischer Themen, sondern im Genre des Horrorfilms, das die Schauerromane des 19. Jahrhunderts in schwarz-weißer Celluloid-Ästhetik wieder aufleben ließ. Mit der Darstellung des Grafen Dracula erlangte er Weltruhm, so als habe ihn die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie bis nach Kalifornien verfolgt – als Schatten der Vergangenheit. Die Romanverfilmung des untoten Grafen von Tod Browning hatte im Jahr 1931 seine Premiere, jenem Jahr, in dem die NSDAP in Dessau die Gemeindewahlen gewann und die Schließung des Bauhaus forderte. Die KPD stimmte gegen die Schließung, die SPD enthielt sich. Es gibt Stimmen die sagen, das Bauhaus sei mit seiner Schließung in Dessau bereits tot gewesen.

Mitte der 30er-Jahre endete Lugosis Horrorfilmkarriere. Der Zenit des Genres war überschritten. Horrorszenarien ganz anderer Art hatten mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten ihren Anfang genommen: die anti-kommunistische, anti-avantgardistische, rassistische und homophobe Verfolgung und Ermordung begann in Deutschland und Europe noch bevor der zweite Weltkrieg Millionen von Männern, Frauen und Kindern weltweit tötete. Zu den Verfolgten und Ermordeten gehörten auch eine große Zahl Bauhaus Studierender, denen zu einer Ausreise nach Nord- und Südamerika, Palästina oder die Sowjetunion die Mittel und Privilegien fehlten. Die Vertreibung, Flucht und der Genozid an einer ganzen Generation von Intellektuellen und Kulturschaffenden hat etwas Unfassbares hinterlassen, ein Schmerz, der seinen Ausdruck nicht findet. Eine unerhörte Geschichte alternativer städtischer Lebensweisen von jungen Frauen und Männern, Geschichten von abgebrochenen modernistischen, sozialistischen und kommunistischen Idealen und die notwendige Selbstkritik an diesen. Fortan sind wir es nun, die ihre Geschichten aufsuchen und Kritik am Modernismus üben. Aber es sind die Untoten das 20. Jahrhunderts, die uns dabei über die Schulter schauen.

Nach dem zweiten Weltkrieg spielte der mittlerweile arbeitslose und drogensüchtige Bela Lugosi in den B-Filmen des Cross-Dressing-Regisseurs Ed Wood eine neue Rolle. Die Migration in die USA versprach soziale Mobilität, aber das Gegenteil war häufig der Fall. Woods Film Planet 9 aus dem Weltall verhalf Lugosi noch zu spätem Underground-Ruhm (Lugosi starb allerdings vor den Dreharbeiten und gleich noch ein zweites Mal, als Ed Wood ihn durch einen Stuntman subito ersetzen ließ). Ed Woods Filme liefen noch in den späten 70er-Jahren in Art-House-Kinos und die Darstellerin Vampira wurde auch in Europa zur Stilikone der Dark-Wave-Bewegung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Postpunk-Band Bauhaus, 1978 gegründet von Peter Murphy, Kevin Haskins, Daniel Ash und David J aus Northampton, die letzten beiden Kunststudenten, ausgerechnet dem Schauspieler Bela Lugosi eine Hommage widmeten. Mit der Single und ihrem Debütalbum In the Flat Field wurde Bauhaus die Band zu Avantgarde der Gothic-Bewegung. Peter Murphy, Arbeiterkind, streng katholisch erzogen, wird bis heute als „Godfather of Goth“ bezeichnet. Die Namensgebung Bauhaus ist dennoch erstaunlich und schwerer zu deuten. Ursprünglich sollte der Bandname sogar „Bauhaus1919“ werden. Die vier Kunststudenten aus Northampton hatten vielleicht durch den Vorkurs, der in den 50er-Jahren auch in Großbritannien Furore machte, vom Bauhaus erfahren. Vielleicht war es auch die coole und im Grunde völlig obsolete Oberfläche des Modernismus, der in Zeiten von Margarete Thatchers neoliberaler Härte als eine neue Gegenästhetik bestach. Name der Schule und Oskar Schlemmers Bauhaus-Logo wurden zu einer Zeit gecovert, in der das Bauhaus und seine Schriften in Archiven, Museen und Bibliotheken langsam verstaubten. Die Band Bauhaus verhalf der Schule zu einem neuen Leben in der Popkultur. 1980 als ein Kind des Ruhrgebiets hörte ich eine Sendung im BCC des legendären John Peel, der die Band eingeladen hatte. Die Sendung sollte der Band Bauhaus den Durchbruch und mir durch Namen und Logocover ein vages Interesse am Bauhaus und der Moderne verschaffen.

Die Kunststudenten aus den East-Midlands waren zum Medium einer Widerauferstehung geworden. Ihre popkulturelle Aneignung des historischen Bauhaus machte mir jedenfalls viele Jahre später den Blick dafür frei, dass das Bauhaus wie Bela Lugosi aus dem Geist des 19. Jahrhundert hervorgegangen war. Es gibt Stimmen, die sagen, dass das Bauhaus jener letzte Schritt gewesen sei, der künstlerischen Kritik an der Warenproduktion des Industriekapitalismus eine institutionelle Form zu verleihen. Eine Kritik, die bereits Mitte des 19. Jahrhundert in der britischen Arts and Crafts-Bewegung formuliert worden war. Die Rückbesinnung auf mittelalterliche Bauhütten fand sich nicht nur im Namen Bauhaus oder in der Anrufung des Handwerks wieder (die Gropius mit dem indischen Poeten und Pädagogen Rabindranath Tagore 1919 teilen sollte), sondern auch in dem von Feininger gestalteten Cover des Bauhaus Manifests, im expressionistischen Holzdruck einer Kathedrale, die gleichzeitig Bruno Tauts Stadtkrone reflektierte. Das sogenannte englische Gothic-Revival, auf das sich Grafik und Text des ersten Bauhaus Manifests beziehen, stammt ursprünglich aus dem imperialen frühindustrialisierten England. Dieses Gothic-Revival, das von Augustus Welby Northmore Pugin, John Ruskin und William Morris mit Thesen, Texten, Architekturen und Gestaltungen aktiv begleitet wurde, entwickelte sich zu jenem britischen Gothic-Stil, der für das Land prägend werden sollte. Dass dieses englische Wiederaufleben der Gotik Walter Gropius und das Bauhaus noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts verfolgte – und einem Hinweis Sarat Maharaj folgend bis zu Gandhis Ideen für die Rückgewinnung der Produktionsmittel wirken sollte – erscheint monströs. Aber diese Rückwendung zu mittelalterlichen Produktionsweisen sagt auch etwas über die Wirkmächtigkeit des Kapitalismus/Kolonialismus und seiner immer wiederkehrenden widerstreitenden Kräfte aus. Denn nur so ist doch das Überleben überlebter Ideen zu verstehen, dass sie sich nicht zur Gänze realisieren konnten und sich – wie ein Poltergeist – an unerwarteter Stelle immer wieder zeigen wollen. In den späten 70er-Jahren ist es die Postpunk-Band Bauhaus, die der vergessenen Gothic-Vergangenheit des frühen Bauhaus ein Monument setzt – auf einem Grab, das sich nicht schließen will.

Dies mag daran liegen, dass – eben ganz anders als Marx und Engels es analysiert hatten – die Arts and Crafts-Bewegung und auch das Bauhaus vor allem auf eine ästhetische und pädagogische Reform zielten. Und es ist möglicherweise diese Ersetzung einer notwendigen sozialen Umwälzung mit einer ästhetischen Reform, die uns als unruhiger Geist bis heute verfolgt. Bauhaus die Band rezipierte Ende der 70er-Jahre das Bauhaus bereits jenseits des Mythos, entgegen des Imperativs die gesamte Objektwelt umgestalten zu müssen. Vielmehr verwandelte Bauhaus die Band Ende der 70er-Jahre die Utopie der Weimarer Republik in eine Dystopie, in der das Obsolete in seiner Umkehrung weiterlebt. Denn die Fortschritts- und Wachstumsideologien des Industriekapitalismus und die Umarmung der Synthese von Kunst und Technik, wie sie das Bauhaus seit 1923 propagierte hatten, sich verbraucht. Der Arbeiterschaft und seiner Kinder wurde sich entledigt. Arbeitslosigkeit wurde zum Kennzeichnen der sogenannten Postmoderne unter den Vorzeichen und dem Erstarken der neoliberalen Ideologie in Europa und den USA. Der Leadsänger Peter Murphy wächst in einem Umfeld auf, in dem die sich selbst überlassene Arbeiterschaft im Umfeld ihrer katholischen Gothic-Revival-Kirchen auf ein besseres Leben hofft.

In meiner Ruhrpott Heimatstadt Bochum spielten etwa zur selben Zeit in einer der leerstehenden, besetzen Fabrik im Jahr 1982 die Einstürzende Neubauten. Mit allem, was die verlassene Fabrik so hergab, spielten Blixa, Mufti und Co mit uns allen, die sich ebenfalls mit herumliegendem Eisenschrott ausgestattet hatten, ein solidarisches Konzert für die Besetzung der verlassenen Fabrikhallen. Überall in Europa standen die ehemaligen Zentren der industriellen Produktion, der Stahl- und Kohleproduktion auf einmal still. Die Auslagerung der Industrieproduktion an andere Standorte hatte unlängst ihren Siegeszug gefeiert. In den leeren Fabrikhallen setze sich die postmoderne Jugend für Zentren für eine eigene Kultur ein. Orte jenseits der Bevormundung, jenseits der Klassen- und Geschlechterhierarchie, jenseits von Schule, Berufsausbildung, vorgestampften Karrierewegen und Anpassungsleistungen schwebte uns vor und wir suchten diese in der Subkultur, der Musik, dem Stil in klarer Dissonanz zum rechten, bürgerlichen aber auch linksliberalen Mainstream.

Der Name Einstürzende Neubauten verweist dabei auf ein anderes Beerdigungsszenarium. Denn obwohl viele Jugendliche in Neubauten der 50er-Jahre mit arbeitslosen oder geringbeschäftigten Eltern lebten, war es ausgerechnet der von den Medien begleitete Abriss von vierzehnstöckigen Apartmenthäusern in St. Louis im Jahre 1972, dem Komplex Pruitt-Igoe des Architekten Minoru Yamasaki, der die Postmoderne symbolisch einläuten sollten. Eine Siedlung, die zwanzig Jahre vorher noch als Beispiel einer Welfare-Architektur gegolten hatte, die die ärmeren Bevölkerungsgruppen berücksichtigte. Den Abriss der Häuser kommentierte der amerikanische Architekturtheoretiker Charles Jencks mit dem kanonisch gewordenen Satz:

 

 

„Modern architecture died in St Louis, Missouri on July 15, 1972, at 3.32pm (or thereabouts). (…) It was finally put out of its misery. Boom – boom – boom.“

 

 

Wider eine Ersetzung und keine Zeit, um zu trauern – um die afro-amerikanischen Bewohner*innen, vor allem alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern, die in der Siedlung (in misery) lebten und von Pruitt-Igoe in eine andere misery umgesiedelt wurden. Polemisch eine neue Zeit einzuleiten bedeutet auch bei Jencks auf die Sprache der Gewalt zurückzugreifen: „BOOM-BOOM-BOOM“. Diese Schüsse aus dem Mund eines Architekturkritikers klingen heute im Kontext von Black Lives Matter mehr als zynisch. Was die gewaltvollen Kriege des 20. Jahrhunderts nicht zerstört haben, erledigen bis heute Abrissbirnen, Sprengungen, Wohnungsspekulation, Baupolitik, der rassistische Diskurs.

Bezahlbarer Wohnraum und Bildung für alle waren Forderungen der Moderne, die ich jedenfalls nicht begraben möchte. Auch die Notwendigkeit neue Institutionen gründen zu müssen, wenn die gesellschaftlichen Bedingungen es erfordern. Die Idee, mit der das Bauhaus antrat, eine Schule zu gründen, in der Kunst und Gestaltungsprozesse eine neue Beziehung eingehen indem ein dritter Ort entsteht, der weder künstlerische noch gestalterische Verfahren verwirft und diese nicht allein dem Markt oder einer gesellschaftlichen Elite überlässt, ist eine Untote, die uns solange heimsucht, bis wir in der Lage sind, diese zu realisieren.

 

 

Footnotes

 

  1. ^ Der Text ist im Rahmen der projekt bauhaus Veranstaltung Ciao Bauhaus im Mai 2019 als ein öffentliches Begräbnis inszeniert im grünen Salon der Volksbühne als Trauerrede aufgeführt worden.

Cover von Bela Lugosi’s Dead, veröffentlicht 1979.
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